Auf 184 Seiten liefert der Spezialist für berufliche Bildung, Dr. Winfried Heusinger, eine umfassende Analyse über die künftigen Potentiale dualer Ausbildungskonzepte. Sein Buch ist ein Plädoyer für ein Umdenken in der Bildungspolitik der letzten 20 Jahre. Insbesondere sieht er eine Notwendigkeit für eine Abkehr vom sogenannten Competency-Based Training System (CBT-System) und der absoluten Priorisierung der akademischen Bildung.
Das CBT-System hat seinen Ursprung in der angelsächsischen Welt und befindet sich aktuell auf einem weltweiten Siegeszug. Bei dem CBT-System liegt der Fokus der Ausbildung auf dem Absolvieren abgeschlossener, standardisierter Module, die monetär bewertbar und vermarktbar sind und einfache Möglichkeiten der Erfolgsmessung bieten. Es verfügt aufgrund perfekt ausgeklügelter bürokratischer Algorithmen ein unheimliches Potential, besonders im Bereich der staatlichen und von NGOs betriebenen Entwicklungszusammenarbeit, kommerzialisiert zu werden, wenngleich das Ziel einer Ausbildung, die jungen Menschen eine ganzheitliche berufliche Handlungskompetenz mitgibt, verfehlt wird.
Eine weitere problematische Entwicklung ist laut Heusinger die ausufernde Akademisierung. Dadurch, dass Jugendliche länger in ihrer Peergroup aus Gleichaltrigen verharren, wird laut Heusinger häufig kindliches Verhalten konserviert. Des Weiteren befördert die Akademisierung die „Normierung der Wirklichkeitswahrnehmung […], indem die dem Menschen angeborene Fähigkeit zur Hinterfragung durch antrainiertes Memorieren und kompromissloses Zitieren von bereits Gesagtem aus sogenannten Quellen, erfolgreich verdrängt wird“ (S. 104). Insgesamt werden die „heranwachsenden Generationen durch eine vorgegebene Denkweise programmiert“ (S. 131). Zwar ist diese Form der Bildung für die Staatenlenker interessant, um ihre Macht zu erhalten und die Bevölkerung zu kontrollieren, jedoch erschwert es den Menschen, ein selbstbestimmtes Leben führen zu können, „welches auf individuellen und freien Schlussfolgerungen beruht“ (S. 106). Aus Sicht von Heusinger ist es deshalb erstaunlich, dass die Universitäten eine solche Bedeutung erlangt haben.
Als Alternative zum CBT-System und zur Akademisierung betrachtet Heusinger das duale berufliche Bildungssystem. Dabei sieht er das Potential für diese Form der Ausbildung nicht begrenzt auf die klassische Lehrlingsausbildung, sondern auch als interessantes Format für klassische, akademische Disziplinen. Heusinger betont dabei regelmäßig, dass es sich um eine äußerst menschliche Form der Ausbildung handelt, nämlich „vom Menschen zum Menschen“ (S. 11). Dem Ausbilder kommt dabei eine besondere Schlüsselrolle zu. Während der dualen Berufsausbildung würden die Jugendlichen ein ganzheitliches Lernerlebnis durchlaufen, „welches auf die Verknüpfung von Geist, Verstand und Tun beruht“ (S. 57). Dabei ist das praktische Tun in Form des handwerklichen Könnens, eingebettet in einen intellektuellen Handlungsprozess. Regelmäßig betont Heusinger, dass die duale Ausbildung der Persönlichkeitsbildung junger Menschen dienlich ist. So fördert die duale Ausbildung junge Menschen zu mündigen und selbstbestimmten Menschen zu werden und darüber hinaus, die Fähigkeit mit Menschen verschiedener Altersgruppen und Arten kommunizieren zu können. Insgesamt erlangt der Auszubildende eine ganzheitliche berufliche Handlungskompetenz, die nicht nur für seine Berufslaufbahn, sondern auch für eine kritische, kreative und humane Gesellschaft zentral ist.
Außerdem geht Heusinger noch auf die Probleme der Bildungszusammenarbeit, die häufig zu steuerfinanzierten, lukrativen Geschäftsmodellen für die Beteiligten verkommen, und die Potentiale der Digitalisierung für die berufliche Ausbildung ein. Gegen Ende des Buches entwirft Heusinger zwei gegensätzliche Zukunftsszenarien, die jeweils ein Worst-Case- und ein Best-Case-Szenario für die künftige Entwicklung der beruflichen Bildung darstellen.
Titel: Die Zukunft der beruflichen Bildung: Vorteile dualer Konzepte in Zeiten globaler Digitalisierung
Autor: Dr. Winfried Heusinger
Verlag: Springer
Sprache: Deutsch
ISBN-13: 978-3658338718
Seitenzahl: 184
Erscheinungsjahr: 2021
Rezensent: Christian Johannes Hüning